Die Betrachtungen sind stark abhängig von den Flugleistungen und den äußeren Bedingungen (Beladung, Wind, Dichtehöhe, Startbahnoberfläche). Ich habe mich nicht auf eine zwangsläufig sehr überschlägige Rechnung verlassen, sondern es in der Höhe einfach mal ausprobiert - siehe oben - und den tatsächlichen Höhenverlust für das Manöver experimentell ermittelt - zugegeben unter günstigen Bedingungen, für die man in der Praxis einen Sicherheitszuschlag ansetzen muß. Für eine lahme Gurke oder einen Flug bei MTOW könnte die Entscheidungshöhe
deutlich höher ausfallen.
Für eine beispielhafte Rechnung wären die Eckdaten (1 Person an Bord, Tank voll):
Vy = 65 kt = 120 km/h = 33 m/s
Steigrate bei Vollgas und Vy = 1.200 ft/min.
Bestes Gleiten = 80 kt = 150 km/h = 42 m/s
Gleitwinkel = 1 : 9
Sinkrate beim besten Gleiten also 4,6 m/s = 911 ft/min.
Vom Erreichen der vollen Steigfluglage bis 1.000 Fuß über Grund dauert es 50 Sekunden, dabei habe ich bei Windstille 1,7 km zurückgelegt. Dazu rechnen wir 400 Meter für das Beschleunigen, Abheben und Einnehmen der Steigfluglage. Macht 2,1 km, d.h. ich befinde mich vom Abflugpunkt 26 aus gesehen gerade einmal kurz hinter der Platzgrenze. Das stimmt auch mit der Praxis überein.
Das schnelle Nachdrücken und Fahrtaufholen verbraucht nicht viel Höhe, wie man jederzeit in der Praxis überprüfen kann. Für 30 km/h mehr Fahrt muß man rechnerisch lediglich 10 Fuß zusätzlich zur normalen Sinkrate aufgeben. Rechnet man großzügig 5 Sekunden für den gesamten Vorgang (inkl. Schrecksekunde) bei einer Sinkrate von 911 ft/min, hat man 86 Fuß unterhalb des Motorausfalls das beste Gleiten hergestellt.
Die Umkehrkurve als Standardkurve (etwa 15° Querneigung bei 80 kt) zu fliegen, ist nicht sinnvoll, der Kurvenradius ist zu groß und man kommt zu weit vom Platz weg. Mein Vorschlag: 45° Querneigung bei leicht erhöhter Fahrt. Die 180°-Kurve dauert dann 26 Sekunden, die Sinkrate erhöht sich auf 1.300 ft/min., was einem Höhenverlust von 563 Fuß entspricht.
Rein rechnerisch komme ich also mit 350 Fuß über Grund aus der Umkehrkurve, habe eine Überfahrt von 30 km/h über der Anfluggeschwindigkeit von 1,2 Vs0 und bin 2,1 km vom Abflugpunkt 26 entfernt, also 500 Meter vor der Schwelle 08. 150 Fuß Höhe würde ich für meinen Segelflug zur Schwelle verbrauchen, 200 Fuß bleiben als "Puffer" noch übrig. Die alte Segelflieger-Faustregel, unterhalb von 100 Metern über Grund möglichst keine Kurven mehr zu fliegen, wäre erfüllt.
Das ist alles andere als schön, aber zumindest machbar - unter den oben angenommenen Randbedingungen und
wenn die Reaktionszeit stimmt und
wenn das Manöver ordentlich geflogen wird.
Vernachlässigt wurde hier eine in der Praxis meist vorhandene Gegenwindkomponente, die einem während des gesamten Manövers nutzt. Die 1.000 Fuß im Steigflug sind früher erreicht, während der Kurve wird man an den Platz herangetrieben und auf dem Rückenwindteil verbessert sich der Gleitpfad. Das ganze Szenario dauert vom Abheben bis Aufsetzen keine 100 Sekunden. Bei moderaten 10 km/h Gegenwindkomponente würden wir aber trotzdem immerhin 250 Meter "zurückgeblasen" werden, die Sicherheitsmarge würde sich spürbar erhöhen.
Natürlich würde ich in der Praxis mein Leben nicht von so einer Milchmädchenrechnung abhängig machen, das wäre dumm. Man könnte für die Entscheidung länger brauchen als gedacht, in der Hektik unsauber fliegen, die Beladung könnte deutlich höher sein als in der Beispielrechnung angenommen, und so weiter. Es wäre schade, wenn man dann stur nach Höhenmesser die Umkehrkurve einleitet, nur um festzustellen, daß man im Flugplatzzaun landen wird - oder - schlimmer und schon oft vorgekommen: daß man aus Angst vor dem Boden in der Kurve überzieht und über eine Fläche abkippt.
Dennoch denke ich, daß mein Vorgehen grundsätzlich nicht verkehrt ist: Bis 1.000 Fuß schließe ich eine Umkehrkurve bzw. größere Richtungsänderungen selbst bei besten Bedingungen generell aus - und zwar ohne Zeit zu verplempern mit Nachdenken oder nach hinten umschauen. Es wird ein Landefeld ungefähr in Flugrichtung gesucht und die Konzentration bleibt bei der bevorstehenden Landung. Punkt.
Ab 1.000 Fuß über Grund (bei flachem Gelände wie in BS) weiß ich, daß es - je nach den bekannten Randbedingungen, die vor dem Start feststehen - rechnerisch reichen würde, zum Platz zurückzukommen. Ich würde daher, falls nicht geradeaus der perfekte Notlandeacker sicher erreichbar ist, zumindest erwägen, die Kurve einzuleiten und einen Blick zum Platz zu riskieren. Man sieht recht schnell nach Augenmaß, ob es passt oder nicht. Wenn nach Augenmaß die Kurverei nicht in einer komfortablen Höhe erledigt wäre, geht man halt doch auf einen Acker. Auch 90° rechts und links des Abfluges gibt es hier passende Felder. Weil die Außenlandung eben ein erhöhtes Risiko darstellt, würde ich sie nicht erzwingen, wenn es tatsächlich sicher möglich ist, zum Platz zurückzukehren.
Nochmal deutlich: Die Berechnungen gehen von Annahmen aus, die in der Praxis auch erfüllt sein müssen. Mit einem 850kg schweren Segelflugzeug im Schlepptau kann es durchaus sein, daß eine Rücklandung auf dem Platz bis in beliebige Höhen ausgeschlossen ist, weil die Steigrate viel zu gering ist. Oder man fliegt Platzrunden nach Special VFR und erreicht wetterbedingt vielleicht noch nicht einmal die 1.000 Fuß.
Für einen Segelflieger gehört das sofortige Nachdrücken, Fahrtaufholen und Einleiten einer Kurve mit einigermaßen großer Querneigung übrigens zum Standardrepertoire, das regelmäßig geübt wird. Im Falle eines Seilrisses, der deutlich häufiger vorkommt als ein Motorausfall, ist das Manöver die einzige Lebensversicherung. Ab etwa 300 Fuß Höhe über Grund kann man im modernen Segelflugzeug eine verkürzte Platzrunde (zwei 180°-Kurven) fliegen. Gefährlich ist das ungewohnte Horizontbild aus dem Cockpit und der unbewusste Wunsch, am Höhenruder zu ziehen. Trainiert wird, diszipliniert eine sichere Mindestfahrt einzuhalten und sauber zu fliegen - das ist im Segelflugzeug auf jeden Fall schwerer als im Motorflugzeug. Als reiner Motorflieger ist man möglicherweise bei einer Umkehrkurve nach dem Start das erste Mal überhaupt in der Situation, aus sehr niedriger Höhe manövrieren zu müssen. Der zusätzliche Streßfaktor kann die Bewertung der Situation schon wieder völlig anders aussehen lassen. Noch besser als der Segelflieger würde der alte Agrarflieger die Situation meistern, der sein ganzes Leben unter 500 Fuß zugebracht hat.
Letztendlich steht auch hier erst im Nachhinein fest, was die beste Entscheidung gewesen wäre. In der kurzen zur Verfügung stehenden Zeit kann man nicht alle relevanten Faktoren bewerten. Deshalb gibt es in der Fliegerei feste Handlungsschemata, die man sich vorher zurechtlegt und die einem an Bord eine schnelle und sichere, wenn auch nicht immer perfekte Entscheidungsfindung ermöglichen.
Sichere Piloten erkennt man daran, daß sie engagiert über solche Themen diskutieren, sich auch am Boden Gedanken über mögliche Notfälle machen und Handlungsalternativen in Gedanken durchspielen. Auch, wenn sie sich nicht bis in letzte Detail einig werden
