[Artikel] Innovation im Flugzeugbau - Akaflieg SB 10

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[Artikel] Innovation im Flugzeugbau - Akaflieg SB 10

Beitrag von Uwe » Di 14. Apr 2015, 23:08

Kategorie: Flugzeuge mit Geschichte(n)
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Akaflieg SB 10 im Landeanflug

Von April bis Oktober jeden Jahres kann man sie bei guter Thermik über Waggum und Bienrode ihre Kreise ziehen sehen: die Segelflieger am Standort Braunschweig. Jeder Flughafenbesucher hat sie im Sommer schon beobachtet, wenn sie sich von der Winde oder einem Flugzeug gezogen in den Himmel erhoben haben.

Kaum jemand aber weiß, dass sich unter den Segelflugzeugen Unikate befinden, von denen einige mit der Einführung neuer Techniken im Flugzeugbau und der daraus resultierenden Leistungssteigerung Luftfahrtgeschichte schrieben: die Segelflugzeuge der Akaflieg Braunschweig. Von den noch heute aktiv eingesetzten Flugzeugen ist die SB 10 und ihre Entwicklung von besonderer Bedeutung.

Die Akademischen Fliegergruppen (Akaflieg) entstanden ab 1920 an verschieden deutschen Hochschulen, mit dem Ziel der wissenschaftlichen und praktischen Weiterbildung ihrer studentischen Mitglieder. 1922 begann die Geschichte der Akaflieg Braunschweig als "Flugwissenschaftliche Vereinigung an der Technischen Hochschule zu Braunschweig“. Neben dem Bau von vier Segelflugzeugen in den 20er Jahren widmete sich die Gruppe später auch dem Motorflug.

Im Jahr 1951, mit der Wiederzulassung der Segelfliegerei in Deutschland, wurde die Akaflieg Braunschweig als akademische Vereinigung an der Technischen Hochschule wieder zugelassen. Der Segelflugbetrieb begann 1952 mit zwei selbstgebauten „Grunau Baby III“. Die Flotte wurde anschließend stückweise erweitert. Mit der SB 5 (SB = Segelflugzeug Braunschweig) erhob sich dann 1959 die erste Eigenentwicklung der Akaflieg Braunschweig nach dem II. Weltkrieg in die Luft. Danach folgten in den nächsten Jahren die weiteren Projekte bis zur SB 15.

Weitere Informationen zur Geschichte der Akaflieg Braunschweig

Die Entwicklung der doppelsitzigen SB 10 beginnt im Jahr 1970. Ausgehend von der SB 8 sollte über die SB 9 hin zur SB 10 die Steigerung der Flugleistung über die Vergrößerung der Spannweite und Flügelstreckung erfolgen. Während die SB 8 eine Spannweite von 18 m besaß, wurde sie bei der SB 9 auf 21 m erweitert. Für die SB 10 war eine Spannweite von 29 m geplant. Die Bauweise der Tragflächen der SB 9 in glasfaserverstärkter Kunststoffbauweise (GFK) hatte von der Festigkeit genug Reserven für eine größere Spannweite, allerdings fehlte es an Steifigkeit. Um diese zu erreichen und trotzdem das Gewicht gering zu halten, entschloss man sich, einen neuen Weg zu gehen. Das neue Flügelmittelstück mit einer Länge von 9 m sollte in kohlefaserverstärkter Kunststoffbauweise (CFK) hergestellt werden. Daran wurden die modifizierten Tragflächen der SB 9 angesetzt. Durch die Modifikation konnte die SB 10 auch mit einer verkürzten Spannweite von 26 m geflogen werden.

Bei der SB 10 wurde die CFK-Technik weltweit zum ersten Mal bei tragenden Bauteilen in der zivilen Luftfahrt eingesetzt. Dementsprechend gab es nur wenig Erfahrung mit dieser Technik. In Zusammenarbeit mit der TU Braunschweig wurden im Rahmen eines Forschungsauftrages für die Anwendung und Erprobung von Kohlenstoff-Fasern in hochbelasteten Flugzeugbauteilen die Grundlagen für dieses Bauprinzip geschaffen. Die Verwendung der CFK-Bauweise wurde bei der SB 11 konsequent fortgesetzt. Sie erlaubte es, bei der SB 11 die Leistungssteigerung durch die Veränderung der Flächengröße zu realisieren. Auch hier betrat die Akaflieg erfolgreich Neuland.

Die Fertigstellung der SB 10 erfolgte 1972, dem 50. Jubiläumsjahr der Akaflieg Braunschweig. Mit ihr entstand das damals leistungsfähigste und bis heute das größte reine Segelflugzeug der Welt.
Mit ihrer Spannweite von 29 m ist sie sogar breiter als die Boeing 737 der Series 100 bis 500 (Spannweite 28,35 m, bzw. 28,88 m)! Erst 28 Jahre später, im Jahr 2000, übertraf eine andere Segelflugzeugentwicklung aus Braunschweig diese Spannweite: die ETA, entwickelt vom Ingenieurbüro Flugtechnik & Leichtbau, brachte es auf eine Spannweite von 30,90. Dabei handelte es sich allerdings um einen Motorsegler. Eine Weiterentwicklung, die Nimeta, verwendete die Tragflächen der ETA und war wenige Wochen vor ihrem Unfall im Jahr 2012 auch in Braunschweig zu sehen.

Wegen ihrer Abflugmasse von ca. 900 kg war der Flugzeugschlepp (F-Schlepp) die bevorzugte Startart. Deshalb wurde 1973 eine gebrauchte Jodel (Robin) DR 300/180 gekauft, die heute noch mit der Kennung D-EOLS von der Akaflieg für diesen Zweck betrieben wird.
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F-Schlepp mit einem anderen Segelflugzeug

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Schlepp-Flugzeug Jodel (Robin) DR 300/180 in aktueller Lackierung


Ihre Leistungsfähigkeit stellte die SB 10 in den Folgejahren mit der Aufstellung verschiedener Rekorde für doppelsitzige Segelflugzeuge unter Beweis.

1974 sollte ein neuer Zielstreckenweltrekord im Rahmen eines 800-km-Zielflugs nach Orleans aufgestellt werden. Nach anfänglich eher ungünstigen Wetterbedingungen entwickelte sich der weitere Verlauf des Fluges so gut, dass man kurzerhand entschied, den Zielstreckenweltrekord sausen zu lassen und stattdessen den Weltrekord im freien Streckenfliegen (921 km) zu knacken. Nach 8 Stunden und 45 Minuten endete der Flug nach 893 km mit einer Außenlandung bei Poitiers. Es fehlten nur 29 km zum Weltrekord, aber die Strecke reichte zur Anerkennung eines neuen deutschen Langstreckenrekords.

Ende 1979 / Anfang 1980 ging es mit der SB 10 auf den australischen Kontinent. Im Rahmen von vielen Streckenflügen wurden zusammen mit der Segelfluglegende Hans Werner Grosse vier Rekorde für Doppelsitzer aufgestellt:

- längster Dreiecksflug: 1.112 km (alter Rekord 850 km)

- schnellster 1.000 km Dreiecksflug: 132,0 km/h (alter Rekord 122,4 km/h)

- schnellster 750 km Dreiecksflug: 129,5 km/h (Erstrekord)

- größter Zielflug mit Rückkehr zum Startplatz: 970 km (alter Rekord 870 km)

Danach kehrte sie wieder in den normalen Flugbetrieb der Fliegergruppe zurück.

2003 wurde die SB 10 wegen der notwendigen Grundüberholung und dem damit verbundenen großen Aufwand aus dem Flugbetrieb genommen.

Seit 2010 ist sie aber wieder am Himmel über Braunschweig zu sehen.

Die SB 10 ist neben ihrer enormen Spannweite gut an dem langen, spitz zulaufenden Tandemcockpit, dem hohen Leitwerk und dem tief angesetzten Höhenruder zu erkennen. Oft erfolgen auch die Landeanflüge in einem steileren Winkel als bei den anderen Segelflugzeugen.
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SB 10 im finalen Landeanflug
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Die enorme Spannweite und Flügelstreckung der SB 10


Die Akaflieg Braunschweig hat zum 90. Jubiläumsjahr ihrer Geschichte 2012 ein sehr lesenswertes Buch zu ihrer Geschichte und zur Geschichte der Entwicklung ihrer Segelflugzeuge nach ihrer Neugründung 1951 herausgebracht. Neben ausführlichen technischen Beschreibungen finden sich auch viele Informationen zu Flügen und Wettbewerben, die mit den Seglern der Akaflieg absolviert wurden:

Akaflieg Braunschweig, „SB 5 – SB 15 Segelflugzeug Braunschweig“, Appelhans Verlag, ISBN 978-3-941737-73-0



Weitere Informationen:

Beschreibungen der Akaflieg–Entwicklungen


Bilder der Akaflieg-Entwicklungen in der LCBS-Datenbank


Bilder der Flotte der Akaflieg in der LCBS-Datenbank
Gruß Uwe :hi:


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