[Artikel] Das Forschungsflugzeug ATTAS

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[Artikel] Das Forschungsflugzeug ATTAS

Beitrag von Heino » Di 20. Jan 2015, 20:39

Kategorie: Flugzeuge mit Geschichte(n)

Einleitung

Die ATTAS (Advanced Technologies Testing Aircraft System) war ein Forschungsflugzeug des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) und trug die Registrierung D-ADAM. Dabei handelte es sich um eine modifizierte VFW 614. Doch was ist das für ein außergewöhnliches Flugzeug gewesen?

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Die ATTAS

Geschichte

Die Entwicklung der VFW 614 begann 1961 bei der Vereinigte Flugtechnische Werke GmbH in Bremen. Das Ziel war es, einen Jet zu konstruieren, der die Eigenschaften einer kurzstartfähigen Propellermaschine aufweisen sollte. Des weiteren sollte die Maschine auch auf unbefestigten Start- und Landebahnen verkehren können. Dazu wurden die Triebwerke oberhalb der Tragflächen an Pylonen montiert, um Triebwerkschäden durch das Einsaugen von Fremdkörpern zu verhindern. Aus diesem Grunde ist auch auf eine Schubumkehr verzichtet worden. Das Fahrwerk war zudem kurz und robust konstruiert worden. Die Passagiere konnten über eine integrierte Treppe überall bequem ein- und aussteigen. Die VFW 614 verfügte zudem auch über ein Hilfstrieb (APU) für die Versorgung mit elektrischer Energie und Luftdruck. All diese Eigenschaften machten sie nahezu unabhängig von der Infrastruktur der Flughäfen.

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Die markant auf Pylonen montierten Triebwerke waren bei Wartungsarbeiten leicht zugänglich.

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Robust: Das Fahrwerk.

Der Rollout fand am 5. April 1971 in Bremen statt. Der Erstflug erfolgte am 14. Juli 1971. Am 1. Februar 1972 stürzte der erste Prototyp (D-BABA) bei einem Testflug bei Bremen ab. Die Ursache des Absturzes war ein durch den Abgasstrom der Turbinen angeregtes Flattern des Höhenleitwerks. Danach erhielt das Höhenleitwerks eine leichte V-Stellung. Am 23. August 1974 erteilte das Luftfahrt-Bundesamt (LBA) der VFW 614 die Zulassung.

Obwohl die VFW 614 ihrer Zeit weit voraus war, wurde sie kein kommerzieller Erfolg. Es wurden insgesamt lediglich drei Prototypen und 18 Serienmaschinen fertiggestellt. Hier eine Übersicht der Maschinen:

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Umbau der G17 zur ATTAS

Im Jahr 1981 wurde der Umbauvertrag der G17 zwischen dem DFVLR (Vorgängerinstitution der DLR) und dem Hersteller VFW-MBB unterzeichnet. Im Folgejahr wurden die Modifikationen in Bremen begonnen.
Die Auffälligste Veränderung war der 3,79 Meter lange Nasenspitze auf dem Bug mit einer Fünf-Loch-Sonde an dessen Spitze zur Messung von Luftströmungen. An den Landeklappen erhielt die ATTAS sechs zusätzliche Klappen. Diese direkten Auftriebsklappen erlaubten eine direkte Änderung des Flügelauftriebs und gaben dem Flugzeug einen höheren Freiheitsgrad um die Längsachse.
Im Cockpit wurde der linke Sitz zum Arbeitsplatz des Versuchspiloten umgebaut. Hier konnte die klassische Steuersäule gegen einen Sidestick ersetzt werden. Die Instrumentierung wurde zunächst durch zwei Röhrenbildschirme von einem Airbus A310 ersetzt. (Im Jahre 2003 wurden diese durch modernere LCD-Monitore ausgetauscht.) Zu einem experimentellem Autopiloten kam noch ein Versuchsarten-Bediengerät (VBG).
Wichtigstes Element der Umrüstung war der Einbau einer digitalen Fly-by-Wire-Steuerung zusätzlich zur bestehenden mechanischen Steuerung. Auf dem rechten Platz im Cockpit saß der Sicherheitspilot. Er konnte in kritischen Situationen die Fly-By-Wire-Steuerung entkoppeln und die Steuerung mit dem mechanischen System übernehmen.

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Das Cockpit: Hier mit klassischer Seuersäule.

Die Fahrgastkabine wurde komplett ausgebaut. Vorne links wurde der Arbeitsplatz des Flugversuchsingenieurs eingebaut. Auch dieser Platz verfügte über ein VBG. Die Konsole hatte zwei Bildschirme und 32 Schalter, über die die Experimente aufgeschaltet werden konnten. Außerdem standen dem Flugversuchsingenieur klassische Cockpitinstrumente zur Verfügung. So hatte auch er jederzeit die Informationen über Flugkurs, -höhe und -geschwindigkeit zur Verfügung.

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Arbeitsplatz des Flugversuchsingenieurs

Hinter dem Flugversuchsingenieur konnten noch weitere Experimentierarbeitsplätze eingerichtet werden. Vorne rechts hatte das DLR-Institut für Flugführung einen Arbeitsplatz mit mehreren Rechnern zur Erprobung neuer Anflugsverfahren eingerichtet.

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Arbeitsplatz des DLR-Instituts für Flugführung.

Hinten rechts in der Kabine befanden sich neun Rechner, die die Grundfunktionen übernahmen. Diese Rechner waren bis zuletzt im Einsatz und wurden lediglich durch neuere Computer ergänzt.

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Die Rechner aus den 80er-Jahren. Alt aber bewährt!

Am 13.02.1985 startete die G17 erstmals als D-ADAM. Am 18.09.1985 erhielt die ATTAS schließlich die Zulassung vom LBA und am 24.10.1985 wurde das Forschungsflugzeug nach Braunschweig übergeben.

Die Forschungsprojekte

Die ATTAS war als Forschungsflugzeug vielseitig einsetzbar und hat auf vielen Gebieten wichtige Ergebnisse geliefert. Da eine ausführliche Beschreibung der Forschungsfelder den Rahmen hier sprengen würde, beschränken wir uns auf eine kurze Zusammenfassung:
  • Erforschung des Strömungsverlaufes an laminaren Tragflügeln.
  • Simulierung der Flugeigenschaften anderer Flugzeuge. Selbst von Flugzeugen, die in der Realität überhaupt nicht existieren.
  • Testflüge als unbemanntes Flugzeug "Unmanned Aerial Vehicle" (UAV).
  • "Weitreichende abstandsfähige, signalerfassende, luftgestützte Aufklärung - High Altitude Long Endurance" (WASLA-HALE)
  • Automatische Reaktion auf Konfliktsituationen.
  • Erforschung von Wirbelschleppen.
  • Erfolgreiche Entwicklung von vorrausschauende Böensensoren.
  • Test des Ausgleichssystems "Integrated Ride and Loads Improvement System" (IRLIS).
  • Test eines erweiterten Rollführungs- und Kontrollsystems, um Konfliktsituationen zwischen am Boden rollenden Flugzeugen und Kraftfahrzeugen zu vermeiden.
  • Entwicklung leiserer sowie umweltfreundlicherer Anflugsverfahren.
  • Erprobung von neuartigen Autopiloten zur genauen Einhaltung der Flugbahn selbst bei starken Winden und Turbulenzen.
  • Erforschung satellitengestützter Landeverfahren "GLS" (Global Navigation Satellite System Landing System) und "GBAS" (Ground Based Augmentation System).
  • Ausbildung angehender Flugversuchsingenieure.
Das Ende

Aufgrund der Tatsache, dass es für die ATTAS - speziell für die Rolls-Royce-Triebwerke (M45H Mk.501) und die Reifen - keine Ersatzteile mehr verfügbar waren, wurde das Flugzeug am 27. Juni 2012 offiziell aus dem Flugbetrieb genommen. Am 7. Dezember 2012 startete die ATTAS ihre letzte Reise vom Forschungsflughafen in Braunschweig zur Flugwerft Schleißheim des Deutschen Museums in München. Zum letzten Mal erhob sich somit eine VFW 614 in die Luft. Das Museum erhielt das Forschungsflugzeug als Geschenk für seine umfangreiche Luftfahrtsammlung.

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Die ATTAS hebt zum letzten Mal vom Flughafen Braunschweig ab...

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...und fliegt nach Oberschleißheim.

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Endstation: Die ATTAS als Exponat in der Flugwerft in Schleißheim.

Technische Daten

Länge: 20,60 m
Höhe: 7,84 m
Spannweite: 21,50 m
Flügelfläche: 64 m²
Leergewicht 12.180 kg
maximales Startgewicht: 19.950 kg
Reisegeschwindigkeit: 720 km/h
Maximale Geschwindigkeit: 780 km/h
Landegeschwindigkeit: 160 km/h
Minimalgeschwindigkeit: 157 km/h
Steigleistung: 15,75 m/s
Dienstgipfelhöhe: 7600 m
Startstrecke: ca. 850 m
Landestrecke: ca. 620 m
Reichweite: 2010 km
Reichweite: 1200 km
Triebwerke: 2 Rolls-Royce/Snecma M45 H Mk.501 mit je 32,4 kN Schub

LCBS-Berichte zur ATTAS

Ausserdienststellung
http://forum.luftfahrtclubbraunschweig. ... t2282.html

Letzter Flug
http://forum.luftfahrtclubbraunschweig. ... ilit=attas

Gläserne Werkstatt
http://forum.luftfahrtclubbraunschweig. ... t3131.html

Im Museum
http://forum.luftfahrtclubbraunschweig. ... t3759.html

Quellen und Weblinks:

Fliegen für die Zukunft von Rainer W. During, Aviatic Verlag
Wikipedia
Freundeskreis VFW 614 e.V.
DLR
Flugwerft Schleißheim
Bilder aus unserer Datenbank
Zuletzt geändert von Heino am Mi 21. Jan 2015, 19:57, insgesamt 1-mal geändert.
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